Adrenalin

die Rache des Don Lorenzo

Textausschnitt:

Aus den weitläufigen Büroräumen klang von allen Seiten die sanfte Stimme von Frank Sinatra, ‚Strangers in the Night‘, dann Julio Iglesias ‚Wenn ein Schiff vorüberfährt‘, dann wieder Frank, ‚I did it my way‘.

Auch die Stimme von Salvador erklang mit ihrem neuen Hit ‚Estrellas de la Mar‘.

Toni Moreno klopfte an die hochglanzpolierte Palisander Tür des Büros.

„Herein! ¡Adelante!“

Kam von drinnen die ihm wohlbekannte, sonore etwas heisere Stimme. Ungelenk und etwas linkisch stand Toni Moreno vor dem beinahe, Tennisplatz großen Schreibtisch.

„Señor, Don Lorenzo, felicidades a su cumple Anjos. “

Der massige Kerl stand leicht gebeugt, die riesigen Muskelberge, die aus seinem  Nacken wuchsen,  saßen wie Lebewesen  auf seinen Schultern. Die Arme mit dem mächtigen Bizeps waren vom Körper abgespreizt, die mächtigen Latissimus Muskeln verhinderten, dass er sie anlegen konnte .

Sehnen und Muskeln seiner Unterarme standen wie Taue eines Schiffs hervor. Sein breiter Brustkorb drohte das Shirt, auf dem mittig auf der Brustseite ein Tigerkopf zu  sehen war, zu sprengen. Es lag noch nicht lange zurück, da hatte Toni Torres eine Tür eingetreten, der dahinterstehende Typ war mitsamt seinem Messer quer durch den Raum geflogen.

Antonio Torres war  gefürchtet. Gefürchtet von München bis nach Hamburg und Berlin. Auch bei den  größten und brutalsten  Unterweltgrößen des Landes. Es kursieren schreckliche Geschichten über seine Brualität. Niemand wusste, ob an diesen Storys etwas Wahres war, jedoch trugen sie dazu bei, dass ihm der Ruf anhaftete,  dass es besser sei, sich nicht mit ihm einzulassen. In den Schauer Geschichten, die über ihn kursieren, heißt es, er soll vor einigen Jahren mehrere Leute in einem Kellergewölbe geköpft haben.

Don Lorenzo  saß entspannt, zurückgelehnt hinter dem Schreibtisch. Den Kopf etwas schief gelegt, nickt  er dem vor ihm stehenden gönnerhaft zu,

„gracias  Primo.“

Erwiderte die sonore heisere Stimme. Antonio war mitnichten der Cousin von Sergio Lorenzo. Zwar hatte der Don einige Patenkinder, Antonio Torres aber gehörte nicht zu ihnen.   Der Boss betitelte all seine Vertrauten, mit dem im spanischen gebräuchlichen Primo. Das schaffte eine intime Vertrautheit.

Don Lorenzo nahm  das Päckchen, das Toni   Moreno ihm reichte, entgegen. Es lag feucht und klebrig in seinen Händen.

„Nur ein kleines Präsent,  um sie meiner Treue zu versichern“. Sie wissen, dass mein Leben ihnen gehört.

Was ist das genau das mal Gracias,  danke Toni, ich weiß deine Loyalität zu schätzen.“

Aus den weitläufigen Büroräumen schaltet Partymusik herein. Die Feier zu seinem fünfundsechzigsten  Geburtstag und zur Jahrtausendwende, tobte seit dem vergangenen Abend.

Don Lorenzo spürte, dass Toni Moreno noch etwas auf der Seele brannte. Dieser trat unruhig, von einem Bein auf das andere.  Verschränkte und verdrehte unruhig seine Hände, schnaufte durch die Nase und ballte die Fäuste,  dann sagte er,

„Patron, der Türke hat unser Lager überfallen. Dabei hat er sich auch das gesamte Kokain geholt.“

Don Lorenzo fand es immer wieder erstaunlich, wie aus diesem mächtigen Körper eine so hohe und piepsige Stimme hervorkommen konnte. Einmal hatte er Tony gefragt,

„haben sie dir irgendwo mal die Cojones amputiert?”

Sergio Lorenzo sah, wie darauf das Gesicht Antonios rot anlief. Durch die Nase stieß er schnaufend die Luft aus, dass es aussah, als würde ein wilder Stier Rauchwolken ausatmen. Er winkelte die Arme, Balte die Fäuste und machte einen Schritt auf Lorenzo zu.

Don Lorenzo hob die Hand,

„Para”,

war das Einzige, was er sagte.

Woraufhin Antonio Torres unterwürfig gelächelt und mit dem Kopf wie eine überreife Tomate den Raum verlassen hatte.

Auf eine Erklärung wartend schaute Sergio, Toni Moreno mit gesenktem Kopf, mit beiden Augen   blinzelnd an.

Toni sagte,   ohne Don Lorenzo anzuschauen,  das blau-schwarze Haar hing   ihm dabei  vom  Gel glänzend in die Stirn.

„Jefe, ich bin zu spät gekommen. Die Leute von Ismet Özdemir waren gestern in unserem Lagerhaus in Peine. Mit Maschinenpistolen sind sie rein gestürmt und haben wie im Zweiten Weltkrieg um sich geballert. Ging ne Menge Alkohol zu Bruch. Was da übrig blieb,  haben sie geklaut. Haben einfach den ganzen LKW mitgenommen. Damit war nicht nur der Jack Daniels geklaut, sondern auch das Kokain   war noch im Wagen.“

Don Lorenzo hob leicht den Kopf und sah Tony direkt in die Augen.

„Du warst dabei Toni?“.

Don Lorenzo hob den mächtigen weiß behaarten Schädel mit dem prächtigen Mustasch und wartete auf Tonis Erwiderung.

„Dabei war ich nicht, ich kam erst als der Schlamassel schon geschehen war.“

Don Lorenzo erhob sich, begann eine Wanderung um den gigantischen Schreibtisch, blieb vor Antonio Torres stehen, hob seine rechte Hand zu einer Ohrfeige. Stoppte dann mitten in der Bewegung und tätschelte ihm liebevoll  die Wange.

„Ach Toni, das ist schon okay, du kannst nun mal nicht überall sein. Es ist einfach unmöglich, alles zu beschützen.“

Der Don räusperte sich.

„Nun sage mir eines, woher kam dieses verdammte Zeug, was da gestohlen wurde?“.

Moreno hob den Blick und sah seinen Don erstaunt an.

„Sie wissen es nicht?“.

„Nein,“

sagte Don Lorenzo.

„Zweifeln Sie bitte nicht an mir. Zweifeln sie nie an mir Don Lorenzo,“

piepste der Muskelberg.

„Doch ich kann es nicht sagen. Ich habe mein Wort gegeben, nicht über die Angelegenheit zu sprechen.“

„Es ist ehrenhaft, wenn man sein gegebenes Wort hält. Doch in diesem Fall Antonio bedenke du sprichst mit deinem Don.“

Sergio hatte dem Riesen den Arm um die Schulter gelegt und flüsterte,

„du musst es mir sagen.“ Wo kam dieses Zeug her? Wer ist dafür verantwortlich?“.

Hauchte er leise mit seiner heiseren Stimme nahe dem Ohr von  Antonio Torres. Dieser atmete schwer, richtete sich  auf und ein Unterwürfiger Ausdruck trat in sein Antlitz. Toni holte tief Luft und presste heraus,

„natürlich, ich bin in erster Linie ihnen verpflichtet, Patron. Ich tue alles, was möglich ist, um die Geschäfte der Familie zu schützen.“

Dann berichtete er dem Don von den Geschehnissen im Lagerhaus.

„Sofort, nachdem ich von den Brüdern  gehört hatte, dass  die Schweinerei auf das Konto des Türken ging, habe ich mir zwei von seinen Leuten gekrallt. Wenn du mein Geschenk zu deinem Geburtstag ansiehst, wirst du erkennen, dass  ich sofortige Strafaktionen durchgeführt habe. Die Kanacken des Özdemirs werden sich noch lange an meinen Besuch erinnern. Ich habe ihnen schön den Arsch aufgerissen.“ Sergio Lorenzo tätschelte ihm noch einmal, erst die linke, dann die rechte  Wange, drehte sich um und wanderte, was einige Zeit in Anspruch nahm, zurück hinter seinen Schreibtisch und  ließ sein beachtliches Gewicht  in den bequemen Ledersessel fallen.

„No te preocupes, ich weiß deine Arbeit für die Familie zu schätzen. Konntest du die Ware zurückholen?“.

Antonio Moreno schüttelte den Kopf,

„nein.“

Nachdenklich sah  Sergio ihn an,

„natürlich.“

Dann hob er die rechte Hand, den Handrücken zu Antonio weisend, winkte er hoheitsvoll.  Toni Verstand. Deutete eine leichte Verbeugung an, wann sich um und schritt durch die dicke, von innen leder-gepolsterte Tür aus dem Allerheiligsten  hinaus.

Toni Moreno hatte den Raum verlassen. Don Lorenzo blickte auf das in gelb-rot gestreifte Geschenkpapier gewickelte Päckchen. Auf dessen Unterseite waren feuchte, rote Flecken zu erkennen. Widerwillig schubste der Impresario das Päckchen mit einem Bleistift anstoßend von sich.

So eben hatte Don Lorenzo sich wieder in seinem Sessel zurückgelehnt, da klopfte es erneut an der Tür. Ein kleiner, dicker, etwas untersetzter Mann betrat das Büro. Höflich lüftete er den, auf dem schütterem grauen Haar sitzenden Hut zur Begrüßung  und begann,

„seit neunzehnhundert und sechzig lebe ich jetzt in Deutschland. Ich glaubte, jetzt in einem sicheren Start zu leben. In Deutschland bin ich wohlhabend geworden.  Mir geht es gut in diesem Land. Auch meine Kinder habe ich zu guten Deutschen erzogen. Sie gelehrt, Respekt zu haben und ihrer Familie niemals Schande zu machen. Meine Tochter wuchs zu einem hübschen Mädchen, besser gesagt Jungen Frau heran. Mein Junge war ein intelligenter Bursche. Er sollte einmal nicht wie ich Bauarbeiter werden, sondern ein Studium als Rechtsanwalt oder möglicherweise Architekt absolvieren. Dann begann es, immer öfter kam Isidoro abends spät heim. Er hat Kerle aus dem Rotlichtmilieu kennengelernt. Türken! Jetzt frage ich Sie,  was hat ein guter Cristiano mit gottlosen Türken gemein? In jedem Fall muss die Antwort nichts heißen, aber wirklich gar nichts. Nein. Nun gut, also diese Türken brachten den Jungen dazu harte Drogen, Heroin zu spritzen. Das Geld, das er von mir für das Studium bekam, ging komplett an diese Ziegenhirten. Als Isidoro dann kein Geld mehr hatte, um sie zu bezahlen, haben sie ihn geschlagen. Ich besuchte ihn im Krankenhaus. Er hatte eine gebrochene Nase, das zerschmetterte Kinn ist mit Draht geflickt worden. Drei seiner Rippen waren gebrochen. Sein Schädel war zweimal zerschmettert und  seine Augen waren zugeschwollen, sodass er mich nicht sehen konnte. Ich habe an seinem Bett gesessen und geweint. Und warum habe ich geweint? Ganz einfach Señor  Lorenzo, Isidoro war der Stolz meines Lebens. Aus dem Sohn eines andalusischen Landarbeiters sollte einmal ein studierter Mann werden. Darum habe ich geweint. Diese Hoffnung war nun dahin. Sein linkes Bein war gebrochen und hing jetzt in einem Streckverband.

Ein Schluchzen durchlief den untersetzten Mann, der vor dem riesigen Schreibtisch stand.